„Die gesunde Ohrfeige macht krank“ war ein Buch von Günter Pernhaupt und Hans Czermak aus dem Jahre 1980, das die Diskussion über Gewalt an Kindern nachhaltig im Bewusstsein der deutschsprachigen Länder verankerte und einem Trend folgte, der überall in der westlichen Welt im Gange war. In Österreich war in den 70ern eine gewaltige Reform des gesamten Rechtssystems durch die Regierung Kreisky angegangen worden und diese Modernisierung hat mit dazu beigetragen die Gewalt an Kindern durch die eigene Familie stärker zu thematisieren. Pernhaupt und Czermak schreiben: „Schläge sind für beide Teile ungesund. Die »g’sunde Watsch’n« ist nur einer der unzähligen Erziehungsirrtümer, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.“
Das Buch hatte auch sehr interessante empirischen Details zu bieten. Einer statistischen Aufzählung aus Deutschland (die auch für Österreich Gültigkeit hat) entnehmen sie, dass in den 70ern mehr Vorfälle von Tierquälerei als Kindesmisshandlung angezeigt wurden. Erwachsene, die auf der Straße ihre (oder auch fremde) Kinder züchtigten galten als normal und wurden deswegen praktisch nicht belangt. Ein weiteres Detail, das im Buch zwar immer wieder vorkommt, aber interessanterweise kaum direkt angesprochen wird ist, dass das System körperlicher Strafen, wie es Erwachsene an Kindern anwenden vor allem Buben betrifft, während Mädchen weit weniger von rein physischer Gewalt betroffen waren. Das Bewusstsein für die vielfältigen Formen von psychischer und sexueller Gewalt war 1980 noch nicht im selben Ausmaß entwickelt wie heute und stand erst am Beginn. „Das Züchtigungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern wurde in Österreich stufenweise zwischen 1975 und 1989 (…) und in Deutschland im Jahr 2000 (durch eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)) ersatzlos abgeschafft…“ (Wikipedia)
Die rechtlichen Grundlagen dafür sind in den europäischen Rechtssystemen nicht einheitlich fest gelegt und betreffen unterschiedlichste Teilbereiche, die erst miteinander verknüpft werden müssen. Auf EU-Ebene gilt die EU-Kinderrechtskonvention als Grundlage einer zukünftigen Europa weit geltenden Strafrechtsordnung, aber dies ist erst in Ansätzen verwirklicht und scheitert oft am Widerstand der nationalen Rechtstraditionen.
In Frankreich wurde erst vor kurzem (2018) ein Gesetzesvorschlag von Ministerpräsident Macron beschlossen, der die körperliche Züchtigung von Kindern an sich verbietet, weil dies bisher nicht Teil der Rechtsordnung gewesen ist. Ob und wie sich der Staat in die Belange von Familien einmischen soll oder darf ist ein dauernder Herd von Konflikten. Und dabei sprechen wir noch von den überschaubaren Problemen in europäischen Rechtssystemen.
Das Bewusstsein dafür, dass Kinder Opfer von Gewalt sind und ein Recht darauf haben von dieser verschont zu werden ist in Osteuropa noch immer sehr gering, obwohl durch die Politik der EU vieles besser geworden ist und Rechtssysteme angepasst wurden. Allerdings ist in Osteuropa und Russland noch sehr viel Arbeit notwendig, um ein solches Bewusstsein dauerhaft zu etablieren. Ganz andere Schwierigkeiten gibt es in Regionen außerhalb Europas, vor allem Nordafrika, Mittlerer Osten und Asien.
„Nach einem Bericht von Amnesty International wurden im Jahr 2001 in folgenden Staaten juristische Körperstrafen durchgeführt: Afghanistan, Guyana, Brunei, Iran, Malaysia, Nigeria, Saudi-Arabien, Singapur, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate.“ (Wikipedia)
Die Hindernisse, die es zu überwinden gilt sind sehr unterschiedlich. Der Einfluss von Scharia-Gesetzgebungen in muslimischen Ländern erschwert die Etablierung zivilrechtlicher Normen genauso, wie es traditionelle Familienwerte und Gehorsamkeitskulturen in Asien tun. Der Widerstand gegen den Kolonialismus kann in derselben Weise dazu beitragen Gewalt an Kindern und patriarchale Familienrechtsstrukturen zu rechtfertigen wie es Nachwirkungen von Bürgerkriegen und ethnischen Konflikten tun, die eine Kultur der Gewalt geschaffen haben und eine Gesellschaft über Generationen hinweg plagen können.